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Arbeitshilfe zum Kirchenaustritt

Endlich macht mal einer was zum Kirchenaustritt. Mit dem Buch „Drinnen, daraußen, (n)irgendwo?“ macht das Bonifatiuswerk einen Aufschlag, um sich dem Phänomen des massenhaften Kirchenaustritts zu stellen.
„Drinnen, daraußen, (n)irgendwo?“ Echter Verlag – Foto: Cover Echter Verlag – Montage:PW

Endlich macht mal einer was. Das war der Gedanke noch vor der ersten gelesenen Zeile im Buch „Drinnen, daraußen, (n)irgendwo?“ Dieses Buch ist vom Bonifatiuswerk als Arbeitshilfe rund um den Komplex Kirchenaustritt veröffentlicht worden. Es kann beim Bonifatiuswerk und im Buchhandel erworben werden. Man konnte den Echter Verlag gewinnen, das Buch zu machen. Mithin hat es eine ISBN und kann überall bestellt und gekauft werden.

„Pastorale Fragen und Antworten rund um den Kirchenaustritt“ lautet der Untertitel und steckt damit den Rahmen dessen ab, was zu erwarten und was nicht zu erwarten ist. Ein wenig Analyse geht dem Buch voraus. Dabei bleiben sowohl das Vorwort der Herausgeber Eva Dreier und Georg Austen als auch das Grußwort des Erzbischofs von Paderborn, Udo Markus Bentz, noch recht allgemein. Der Kirchenmitgliedschaftsstudie folgend ziehen sich die neuen pastoralen Dogmen, dass Gott im Leben vieler Menschen keine Rolle mehr spielt und dass die Mehrheit der Menschen auf religiöse Fragen nicht mehr ansprechbar ist, wie ein roter Faden durch das Buch.

Warum dieses Buch?

Im Grunde stellt sich dann die Sinnfrage, warum es ein solches Buch überhaupt gibt. Den Versuch einer Antwort nehmen sich die Herausgeber vor. Mons. Georg Austen ist der Generalsekretär des Bonifatiuswerkes und ein Fachmann für Diaspora. Seine Mitherausgeberin ist Referentin im Bereich „Missionarische und diakonische Pastoral“. Der Sinn des Buches ist es, ins Gespräch zu kommen und dafür Hilfen und Informationen bereit zu stellen. Das Buch stellt sich Rückkehrwilligen zwar nicht in den Weg aber ausgetretene zurückzuholen ist nicht das primäre Ziel. Die Beschreibung der pastoralen Optionen von Pfarrer Nils Petrat, der als Pfarrer einer Großpfarrei mit 21.000 Mitgliedern jährlich mit mehreren hundert Austritten zu tun hat, ist aufschlussreich und endet fast schon erschreckend ehrlich, dass er Ausgetretenen gerne zuhört und ihnen Mitdenken gerne erlauben will, aber bei Kita-, Schul- und Seniorenheimplätzen dennoch den zahlenden Mitgliedern den Vorzug gibt.

Die Kirchensteuer

Eine Rolle in mehreren Beiträgen der Arbeitshilfe spielt das deutsche Sonderkonstrukt Kirchensteuer und der Austritt vor einer staatlichen Stelle. Hier bleibt die Arbeitshilfe einerseits theologisch korrekt, dass es nämlich einen „Austritt“ aus der Kirche nicht geben kann. Die Taufe bleibt gültig. Andererseits scheut auch diese Arbeitshilfe ebenso wie die Deutsche Bischofskonferenz die Wahrheit, dass staatlich ausgetretene in Deutschland exkommuniziert sind. Da windet man sich mit schwammigen Formulierungen drumherum, da nämlich die faktische Exkommunikation auf kirchenrechtlich tönernen Füßen steht. Ein deutlicher kritisches Wort wäre an dieser Stelle angezeigt und hilfreich.

Die theologische Analyse von Jan Loffeld zum deutschen Kirchenaustritt ist recht umfassend. Hier wie in der gesamten Arbeitshilfe fehlt eine soteriologische Untermauerung der Frage zum Kirchenaustritt. Gerne ist man, wie es ein Freiburger Pastoralreferent bei der Vorstellung der Arbeitshilfe im Zoom-Chat betonte, doch froh darüber, dass man „Extra ecclesiam nulla salus“ überwunden habe. So wird man lästige Fragen los, indem man sich gegen das verwahrt, was keiner behauptet hat und damit der eigentlichen, eben nicht trivialen Frage ausweicht.

Es ist bedauerlich, dass man der Frage nach dem unverlierbaren Heil, der Vermittler die Kirche nun einmal durch die Erlösungstat Christi und in dessen Auftrag ist, ganz ausblendet. Man bleibt im Soziologischen und damit in der Sicherheit eines diffusen „Im-Gespräch-bleibens“. Damit kein Missverständnis entsteht, das Gespräch und das Aufrechthalten des Gesprächsfadens ist wichtig. Dogmatische Erwägungen – hier eben soteriologische – können immer nur Hintergrund und Fundament sein, müssen dies aber zwingend und in einer Arbeitshilfe im analytischen Teil auch erkennbar sein.  

Praktische Tipps

Wirklich stark wird die Arbeitshilfe immer da, wo sie praktisch wird. Das neunte Kapitel ist wirklich stark mit seinen Beispielen aus der Praxis. Erstaunlicherweise – oder eben nicht? – kommen die meisten aus der Diaspora. Wirklich gut ist der Teil aus Frankfurt, wo man mit einem sehr einfach gehaltenen Brief an Ausgetretene durchaus interessante Erkenntnisse gewinnt. Die Kirche als Arbeitgeber und der Ausgetretene als Arbeitnehmer. Dies ist ein sehr spannendes Thema, das sich nicht mehr so einfach durch Kündigung des Ausgetretenen lösen lässt.

Fachkräftemangel zwingt die Kirche hier zu einem anderen Umgang. Wie das gehen kann, zeigt Patrick Hofmacher von den Maltesern. Ein wenig erstaunlich ist es, dass in dem Buch soziale Medien kaum eine Rolle spielen. Wenn man junge Menschen ansprechen will, ist dies der Ort und die Weise, in der man sie erreicht. Immerhin kommt die Seite katholisch-werden.de vor, die von der Katholischen Arbeitsstelle für Missionarische Pastoral (KAMP) in Erfurt verantwortet wird.

Fragen und Antworten als Argumentationshilfen oder zur Reflektion, ebenso wie Praxishilfen durchziehen das Buch und unterstreichen den Anspruch des Werkes eine Hilfe zur Gesprächsanbahnung zu sein.

Der Ansatz, sich endlich der drängenden Thematik des Kirchenaustritts anzunehmen, ist deutlich zu begrüßen. Die praktischen Tipps und Hinweise mögen nicht für jeden geeignet sein, aber sie sind so vielfältig, dass sich jeder gute Anregungen daraus holen kann. Das Fehlen einer dogmatischen und fundamentaltheologischen Untermauerung der Frage, warum soll man überhaupt der Kirche zugehören, schmerzt etwas, denn es lässt die Arbeitshilfe auf dünnem Fundament stehen. Der gründliche sozialwissenschaftliche Teil ist zwar gut, ersetzt aber nicht das theologische Fundament. Letzteres wäre übrigens auch für eine kritische Einordnung der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, aus der sich einige Auszüge in der Arbeitshilfe finden, notwendig.

Für Praktiker in der Seelsorge, vielleicht auch für Lehrer in der Schule und für Katecheten in der Gemeinde, die ja in der Sakramentenpastoral auch mit dem Phänomen beispielsweise ausgetretener Eltern von Erstkommunionkindern zu tun haben, ist die Arbeitshilfe gut brauchbares Handwerkszeug. Angesichts des Personalmangels in der Seelsorge ist allerdings fraglich, ob jemand Zeit für eine systematische Pastoral für Ausgetretene finden wird.

Vielleicht aber sind unsere Gedanken ganz falsch, wenn man in Joh 6,66ff. liest, wie Jesus mit Austritten seiner Jünger umgeht. Das Phänomen als solches, die Folgen und die Frage des Umgangs damit werden uns auf viele Jahre hin beschäftigen, viel zum Nachdenken geben und sicher mehr als eine Arbeitshilfe benötigen. Der Aufschlag vom Bonifatiuswerk ist ein guter Anfang.

Austen, Georg/Dreier, Eva (Hg.)
Drinnen, draußen, (n)irgendwo?
Pastorale Fragen und Antworten rund um den Kirchenaustritt
Echter Verlag
Ca. 150 Seiten
ISBN 978-3-429-06712-0